150 Jahre Grashoff: Wie ein Bremer Traditionshaus sich neu erfindet.
Bremen – In ganz Deutschland haben sie ihre Liebhaber, die Konfitüren, Feinkost-Saucen und Schokoladencremes aus Bremen, sprich: aus dem Traditionshaus Grashoff. Die Genuss-Experten aus dem Team um Elke und Oliver Schmidt feiern in diesem Jahr das 150-jährige Bestehen ihres Unternehmens – eines Unternehmens, das sich in jüngster Zeit radikal verändert und aus seiner Tradition heraus neu erfunden hat...
GAULT UND MILLAU 2020
15 Punkte
Wen man in Bremen hört: ,,Dascha gediegen!", kann das zweierlei bedeuten. Es drückt entweder Erstaunen und Überraschung aus oder Bewunderung für etwas von besonderer Qualität Auf Grashoff's Bistro trifft beides zu. Bewundernswert, wie die Küche stets allersolidestes Kochhandwerk bietet, ohne sich von irgendwelchen Moden oder Trends aus der Ruhe bringen zu lassen. Erstaunlich das jahrzehntelange Festhalten an bewährten Gerichten aus vorzüglichen Produkten, Den dampfgegarten Schellfisch mit einer unvergleichlichen Joghurt-Senf-Sauce liebte schon Stammgast Vicco von Bülow alias Loriot. Auch Salat von Flusskrebsschwänzen mit grünem Spargel in Safransauce, Spaghetti alla chitarra mit frischen schwarzen Trüffeln und Trüllfelrahmsauce oder der mit Garnelenmousse überbackene Steinbeißer mit Sauce à l'armoricaine haben längst ihren unverrückbaren Platz auf der Karte und repräsentieren eine verlockende Stärke der Küche: Saucen, die man am Ende vom Teller abschlecken möchte.
Wem das alles zu traditionell ist, der hält sich beispielsweise an saftig gebratene Medaillons von der Poulardenbrust, die zuvor in Tandoori-Masala mariniert wurden und mit Kokosnuss-Chili-Sauce, frischer Minze und rotem Mango-Chutney als ,,Hot Chicken" auf den Tisch kommen. Und nimmt hinterher die Erdbeer-Colada im Martiniglas: mit altem Rum aromatisierter Kokosnussschaum auf Erdbeersorbet mit frischer Minze. Die Habitués halten an ihrem Teller voller makelloser Beeren, gerösteter Mandeln, Erdbeersauce und Mascarpone-Eis fest, auch das ein Grashoff-Evergreen. Mit etwas Glück bekommen Sie zum guten Schluss den Caffè alla Barbara, einen Espresso mit Karamelleis und einem Schuss Grand Marnier, noch von Seniorchefin Barbara Schmidt höchstpersönlich serviert.
Der Vollständigkeit halber: Man sitzt wie in einem typischen Pariser Bistro an eng gestellten Tischen auf Tuchfühlung, der freundliche Service behält stets die Übersicht, die Weinkarte - wen überrascht's – ist vom Feinsten
Schokocreme ohne Palmöl: Schmeckt das?
1. Platz: Grashoff Chocolat - Bewertung: 107,5 Punkte
Reporter Uwe Leiterer macht einen weiteren Selbstversuch: Nach seinem Verzicht auf Zucker, Fleisch und Plastik versucht er nun, den Kauf von Produkten mit Palmöl zu vermeiden. Den Anstoß haben seine Kinder gegeben - dem Regenwald, den Orang-Utans und der eigenen Gesundheit zuliebe. In einem Blog berichtet Uwe Leiterer jede Woche über seine Erfahrungen.
Eduard Dubbers-Albrecht und Oliver Schmidt treffen die kulinarischen Vorbereitungen für die Schaffermahlzeit
Weser Kurier 2018, von NINA WILLBORN
Das berühmteste Essen der Stadt ist, so heißt es im Haus Seefahrt, im Grund eine „einfache, altbremische Mahlzeit“. Hühnersuppe, Stockfisch mit Senfsoße, Braunkohl mit Pinkel, Kalbsbraten mit Pflaumen und Rigaer Butt mit Käse und Früchteplatte – fünf Gänge, die in dieser Kombination wirklich nur noch beim Schaffermahl als „einfache Mahlzeit“ durchgehen dürften. Ganz so einfach ist es aber dann doch nicht, die rund 100 kaufmännischen Schaffer, ebenso viele Kapitäne und Gäste beim Schaffermahl am 9. Februar kulinarisch zufrieden zu stellen. Längst laufen die Vorbereitungen für das Traditionsmahl, das in diesem Jahr zum 474. Mal eingenommen wird. (...)
GAULT UND MILLAU 2017
Jetzt hat man ihm auch noch ein kleines Denkmal gesetzt: Ein Knollennasenmännchen sitzt verträumt auf einer Parkbank gegenüber dieser Institution, in der sein Schöpfer Loriot Gast und Freund des Hauses war, wann immer er in Bremen zu tun hatte. Das ist lange her. Würde Vicco von Bülow beute hier vorbeiscbauen, fände er alles so vor, wie es immer schon war. Keine kulinarischen Experimente, keine küchentechnischen Spielereien (und auch keine Kompromisse bei der Produktqualität). Wir wissen, dass manche Leser das für old fashioned und unsere seit Jahren konstante Note für überhöht halten. Doch wir finden es großartig, dass der Gast hier verlässlich wohlschmeckende Gerichte aus allerbesten Zutaten, hervorragende Weine und angenehmen Service erwarten kann.
GAULT UND MILLAU 2016
Manchmal beschleichen uns Zweifel, ob es mit unserer fast über Jahrzehnte konstanten Begeisterung für dieses berühmte Bistro mit angeschlossenem Delikatessenladen (oder umgekehrt) mit rechten Dingen zugeht. Denn große Küchenoper wird hier nicht gegeben, keine metaphernhafte Inszenierung von Produkten, kein selbstverliebter Koch, keine sinnverwirrenden Tellerbilder und überpointierten Effekte. Kurzum: nichts von der Künstlichkeit, mit der vielerorts Gourmetküchen Eindruck machen wollen. Wer hier einkehrt, wird von seinem Besuch anschließend nichts vermeintlich oder wirklich Spektakuläres erzählen, sondern nur lapidar sagen können: Es hat außergewöhnlich gut geschmeckt! Vieles ist von schönster Schlichtheit, die bretonischen Artischocken mit Moutarde de Meaux Sauce, die frische Burrata von Büffelmilch mit hausgemachtem Basilkum-Chili-Pesto und Rucola oder die köstlich erfrischende (Charentais-) Melonensuppe mit Parmaschinken-Julienne und Pineau des Charentes. Viele Gerichte sind Evergreens, die kein Habitue missen möchte, der unvergleichliche Salat von Flusskrebsschwänzen und grünem Spargel mit Safransauce und frisch geriebenem Meerrettich, der in Dampf perfekt gegarte Schellfisch mit der famosen Joghurt-Senfsauce, Blattspinat und Dill-Kartoffeln, das Boeuf Stroganoff mit Pfifferlingen, Tomaten-Paprikasauce und Rösti. Überhaupt die Saucen: Meisterlich wie eh, verhelfen sie makellosen Produkten zum großen Auftritt. Der Vollständigkeit halber wiederholen wir gern: Die unkomplizierten Desserts sind himmlisch, das Weinangebot ist bistromäßig klein, aber erstklassig, der perfekte Service bei Stammgästen leutselig, ansonsten hanseatisch zurückhaltend.
GAULT UND MILLAU 2013
Bremens Jahrzehnte alte gastronomische Institution ist fast so bekannt wie die Stadtmusikanten und mindestens so beliebt. Alle Lobeshymnen sind gesungen, bleibt nur die Erklärung für Touristen aus einer anderen Welt. Grashoff, das ist Zweierlei: Durch den rechten Eingang betreten Sie einen Feinkostladen voller Produkte, die Kennern den Mund wässrig machen. Die linke Tür führt ins Bistro mit eng gestellten Tischen vor einer hufeisenförmigen roten Lederbank, die den Raum beherrscht. An den Wänden Fotos, Plakate, Urkunden, Zeichnungen, die von der ruhmreichen Geschichte des Restaurants künden. Prominent auf der Fensterbank die große Büste eines Loriotmännchens als Erinnerung an Vicco von Bülow, der Stammgast während seiner Bremer TV-Arbeiten war. Wenn Sie hier einen Platz ergattert haben, können Sie sich ungetrübten Tafelfreuden hingeben. Egal, was Sie bestellen, Sie werden nicht enttäuscht. Ob ein unvergleichlich zartes Vitello tonnato oder punktgenau gebratener Seeteufel mit Limonensauce und Gurken-Dillsalat, ob sahnige Spargelspaghettini mit Flusskrebsschwänzen oder geschnetzelte Kalbsleber mit Äpfeln und Zwiebeln, Balsamico, Creme fraiche und Kartoffelpüree – alles ist erstklassig und mit verführerischer Perfektion zubereitet. Ein absolutes Muss ist der in Dampf gegarte Schellfisch mit der berühmten Butter-Joghurt-Senfsauce, nach der Sie sich alle Finger ablecken werden. Überflüssig zu erwähnen, dass auch die Desserts köstlich sind. Klar, Sie können den Hausklassiker „Apfelcrepe mit Calvados flambiert“ oder ein perfekt gratiniertes Himbeersorbet probieren, vorziehen sollten Sie, wenn die Jahreszeit es zulässt, den schlichten, aber himmlischen Beerenteller mit Mascarponeeis. Nörgler mögen das für konservativ halten. Wer nach dem aufregend Neuen, dem kochtechnisch Experimentellen, dem exotischen Gaumenkitzel sucht, muss weiterziehen. Die anderen werden bei ehrlichen Gerichten aus allerbesten Zutaten, guten Weinen, vorzüglichem Espresso und angenehmem Service vor Vergnügen mit der Zunge schnalzen.
GAULT UND MILLAU 2012
Seit Jahrzehnten werden hier die einfachen Regeln guter Küche auf gleichbleibend hohem Niveau praktiziert, nämlich kompromisslos frische gute Produkte handwerklich perfekt und ohne geschmackliche oder ästhetische Verrenkungen zuzubereiten. Man fragt sich jedes Mahl (das um 21 Uhr endet), warum das so viele Köche nicht hinbekommen … Was immer hier auf den Tisch kommt, ist ein Genuss für Gaumen und Auge. Man muss ja nur mal Grashoffs Primi bestellen: Tandoori-Garnele mit Tomaten-Mangochutney und gerösteter Kokosnuss, Mango-Papayasüppchen mit Chili im Glas, Büffelmilchmozzarella mit halb getrockneten Tomaten und ein Ministeak vom Kalb mit Estragon – ein großes Vergnügen zu angemessenem Preis. Oder probieren Sie mal den eleganten und leichten Salat von Flusskrebsschwänzen mit grünem Spargel in einer Kräuterhollandaise, die man vom Teller ablecken möchte. Es gibt immer mal Neues zu entdecken wie Polio Sorrentina – eine unter dem Grill gegarte saftige Poulardenbrust mit Mozzarella, Basilikum und fruchtiger Tomatensauce. Aber selbst wenn wir hier seit 30 Jahren nur das im Dampf gegarte Schellfischfilet mit köstlicher Butter-Joghurt-Senfsauce, die Kalbsleber nach Berliner Art mit Stamptkartoffeln, sautierten Äpfeln und gebratenen Zwiebeln oder ausgelöste gebratene Scholle mit weißer Buttersauce und Schmorgurken zu essen bekämen, wäre jeder Gedanke an dieses Bistro mundwässernd. Und der klassische Beerenteller mit Mascarponeeis, Erdbeersauce und gerösteten karamellisierten Mandeln könnte das ganze Jahr über Saison haben! Patronne Barbara Schmidt bleibt im größten Trubel gelassen und ist mit Recht stolz auf den grandiosen Weinkeller. Auf ihren perfekten Espresso kann sie es auch sein.
Familie Feinschmecker
Grashoff ist Bremens ältestes Feinkostgeschäft. Die Firmenphilosophie: Hier zählt guter Geschmack
»Für gutes Essen sind Kindheitserinnerungen wichtig«, sagt Oliver Schmidt und erzählt von der Hühnersuppe seiner Großmutter, die sie mit dem Fleisch von Nachbars Hühnern und selbst gemachten Nudeln kochte. Kinder sind eben anspruchsvoll. Hohe Ansprüche stellt Schmidt, gelernter Koch, studierter Ökonom und Vorstand des Familien-Unternehmens mit 60 Angestellten auch an die 3000 Produkte seines Geschäfts. Grashoff ist ein Bremer Traditionshaus und Inbegriff für Delikatessen aus der Hansestadt. Als kleine »Delikatessen-Handlung« im Jahr 1872 eröffnet, entwickelte sich Grashoff unter der späteren Regie der Familie Schmidt zu einer Art Delikatessen-Monopol, erfolgreich seit inzwischen vier Generationen. Das Geschäft an den Wallanlagen, Bremens grünem Gürtel, mit dem Bistro nebenan, ist berühmt für seine hausgemachten Salate, Konfitüren, Essige, Schoko-Cremes und die Klassiker auf der Bistrokarte. »Für unseren Schellfisch machen einige einen Schlenker über Bremen, wenn sie auf der Durchreise sind«, so Schmidt. Die Weinkarte liest sich wie ein Essay über Bordeaux-Weine, zusammengestellt von Sohn Oliver und Vater Jürgen, beide echte Weinliebhaber. Manche Tropfen sind weltweite Weinkeller, bis ein neuer Liebhaber ein kleines Vermögen investiert. »Es muss aber jemand sein, der diesen Wein zu schätzen weiß«, betont Schmidt. Ansonsten bleibt er im Keller. Im Bistro sitzt man beengt, Reservierung ist dringend empfohlen. Die meisten Gäste sind Stammkunden, die mit Namen begrüßt werden, während im Laden nebenan frische Pasta, Kalbsbäckchen in Bordeaux-Sauce und gefüllte Crepes über den Tresen gehen. Bei der Zubereitung gelten strenge Regeln: »Jede einzelne Zutat muss ihren Eigengeschmack behalten«, so Schmidt. Selbstverständlich also, dass Shrimps im Salat nicht brutal von Essig erschlagen, sondern sanft in eine Sauce mit Curry-Note und milder Säure aus hauseigenem Essig gebettet werden. Oma hätte es auch so gemacht. (D5/6) Contrescarpe 80, Tel.14749, www.grashoff.de
GAULT UND MILLAU 2011
Das ist neu: Im Sommer kann man jetzt auch auf einer Terrasse mit schönem Blick auf die grünen Wallanlagen schnabulieren. Unverändert blieb die überragende Qualität der Produkte und die unbeirrte Sorgfalt der Küche. Frei von modischen Attitüden folgt Christian Wichtrup mit seiner Brigade einem Anspruch, der vermutlich lautet: Gut soll es sein, und schmecken muss es! Dank dieser Grundeinstellung wird der Gast von den Gerichten selten enttäuscht und meistens beglückt. Egal ob man einen der Klassiker des Hauses bestellt: im Dampf gegarter Schellfisch mit Joghurt-Buttersauce, Salat vom Stremellachs mit weißer Buttersauce mit Gurken und Kartoffelsalat, Bremer Kükenragout mit Flusskrebsschwänzen, mit Calvados flambierte Apfelcrepes. Oder ob man ausprobiert, wie bei Grashoff „Hausmannskost“ durchdekliniert wird: von gebratener Maischolle mit weißer Buttersauce über Zürcher Kalbsgeschnetzeltes mit Kräuterseitlingen und Kartoffelrösti bis Kalbsleber auf „Berliner Art“ mit Stampfkartoffeln. Oder ob man einen Ausflug in die asiatische Aromenwelt unternimmt, zu Sashimi vom Thunfisch mit japanischem Meeresalgensalat, Süppchen mit Kokosnussschaum, grünem Thai-Spargel, Koriander und Glasnudeln, scharfem rotem Curry aus großzügigen Stücken von Edelfisch, Garnelen und saftigem Hummer. All das war erstklassig und mundete vorzüglich. Das gilt selbstredend auch für die Desserts: vom perfekten Topfensouffle mit Quarkeis und Mango bis zu dem mit altem Rum aromatisierten Kokosnussschaum auf Erdbeersorbet. Wunderbar die begleitenden Weine, die glasweise ausgeschenkt werden, sehr gut der finale Espresso. Dürfen wir uns bei den Mineralwässern, um auch etwas zu mäkeln zu haben, wegen der besseren Ökobilanz auch deutschen Sprudel wünschen? Der Service versieht seinen Dienst – das ist wohl dem kaum abreißenden Gästestrom geschuldet – etwas routiniert-unpersönlich, behält aber auch bei größter Hektik freundliche Übersicht (samstags bis 16 Uhr, freitags bis 21, sonst bis 20 Uhr).
Genuss schlägt Besitz
Deutschlands Besserverdienende ändern ihr Verhalten: Geld wird lieber in Erlebnisse statt Prunk investiert
VON SEBASTIAN MANZ Bremen.
Das Verständnis von Luxus befindet sich bundesweit im Umbruch. Laut einer Umfrage unter deutschen Besserverdienenden halten immer weniger Wohlhabende materielle Besitztümer für wahfen Luxus. Das bedeutet jedoch nicht, dass den Reichen die Lust am Geldausgeben vergangen ist. Vielmehr wird heute eher in ein gutes Essen oder einen zweiten Jahresurlaub investiert als in ein Dritthaus oder ein Viertauto. Bremen beschreitet im Umgang mit Luxus ohnehin einen Sonderweg. Oliver Schmidts .Geschäftsprinzip setzt auf den Faktor Genuss. S.ehmidt leitet die Delikatessenhandlung Grashoff an der Contrescarpe. Als Chef von Bremens erster Adresse in Sachen Feihkost gehört es zu seinen beruflichen Pflichten, den Kunden Gaumenfreuden der Luxusklasse zu verschaffen. Einer Umfrage zufolge, die gerade von der Unternehmensberatungsfirma Keylens zusammen mit dem Institut für innovatives Markenmanagement an der Universität Bremen erarbeitet wurde, liegt Schmidts Geschäftsmodell voll im Trend. Das Kernergebnis der Studie lautet: „Besitzorientierter Luxus weicht mehr und mehr einem erlebnisorientierten Luxus“, sagt Marketingexperte Jörg Meurer, der die Erhebung ausgewertet hat. Das Erleben von Luxusprodukten sei den meisten Befragten wichtiger als das Besitzen. Das wichtigste Ziel bei Besitz und Konsum von Luxusgütern ist demnach persönliches Vergnügen und Selbstbelohnung. Die Studie richtete sich an jenen Teil der Bevölkerung, der über ein besonders hohes Luxusbudget verfügt. 170 Menschen mit einem monatlichen Haushaltseinkommen über 6000 Euro netto wurden befragt. Die zentrale Frage lautete: Was verstehen Sie persönlich unter wahrem Luxus? Absoluter Spitzenreiter unter den Antworten war die Aussage „Zeit mit Familie und Freunden verbringen“. Zwei von drei Befragten schlossen sich dieser Aussage an. „Zwei Jahre nach dem Fall Lehman Brothers ist die Luxusbedürfnislage also erstaunlich geerdet und hat eine offenbar ganz andere als nur materialistische Qualität“, sagt Meurer. Diese These unterstreichen auch die weiteren Top-Nennungen der Umfrage. Unter ihnen befinden sich Schlagworte wie „Freie Zeitgestaltung“, „Sorglosigkeit“ oder „Genuss“. Nudeln und Soße für 50 Euro Für Oliver Schmidt klingen diese Begriffe wie die Leitlinien dessen, was er seinen Kunden tagtäglich ermöglichen will. Zum eleganten Ladenlokal bei Grashoff gehört auch ein kleines Bistro, dessen Küche von keinem geringeren als dem Gault-Millau Führer wegen ihrer „unaufdringlichen Raffinesse“ geadelt wurde.
Seit 134 Jahren gibt es das Geschäft und genauso lang zieht es Kunden an, die ihrem Gaumen etwas Außergewöhnliches gönnen wollen. Dafür greift die Grashoff-Klientel bereitwillig tiefer in die Tasche. So kostet etwa ein Set von fünf Päckchen Nudeln und vier Gläsern Tomatensauce satte 50 Euro. Ein Preis, den im Supermarkt wohl niemand zu zahlen bereit wäre. Oliver Schmidt und seine Belegschaft haben es jedoch geschafft, dass selbst der Nudelkauf einen Hauch von Exklusivität bekommt. Die Ware stammt von akribisch ausgewählten Herstellern und verspricht, höchsten Qualitätsansprüchen; zu genügen. „Luxus ist aber nicht zwangsweise teuer – Luxus ist zwanghaft gut“, sagt Schmidt. Mit dieser Prämisse im Hinterkopf wähle er sein Sortiment aus. Das umfasst mittlerweile rund 3000 verschiedene Artikel, viele aus eigener Produktion. Die Palette reicht von ausgesuchter Wildschweinsalami über edle Brände bis hin zu raffinierten Konditoreierzeugnissen. Schon ein flüchtiger Blick in den Verkaufsraum verrät, welcher Wert auf die Präsentation der Ware gelegt wird. In blankpolierten Vitrinen thronen Schinken und Käselaibe, in klimatisierten Schränken lagern Hunderte Weine und aus knorrigen Körben spitzt frisches Roggenbaguette hervor. Verkäuferinnen führen die Einkaufenden durch den Verkaufsraum auf der Suche nach dem idealen Kauf. Ein Einkauf bei Grashoff ist zweifelsohne ein außergewöhnliches Erlebnis, also genau jene Art von Luxus, für die Deutschlands Wohlhabende laut KeylensStudie gern ihre Geld ausgeben. „Ich finde, das Leben ist zu kurz, um sich mit mittelmäßigen Dingen zu umgeben – diese Einstellung teilen unsere Kunden mit uns“, sagt Oliver Schmidt. Für ihn sind die Erkenntnisse der Umfrage keine große Uberraschung. „Viele der wohlhabenden Menschen, die bei uns verkehren, haben jahrzehntelang hart gearbeitet, um einen gewissen materiellen Wohlstand zu erreichen – daneben wollen sie erfahrbare Lebensqualität.“ Einen radikalen Trendwechsel im Konsumverhalten Wohlhabender hat Schmidt aber nicht beobachtet. Allerdings hat Bremen seiner Meinung nach immer schon eine Sonderrolle im Umgang mit Luxus eingenommen. „Die meisten Leute hier, die die finanziellen Möglichkeit hätten, ihren Reichtum sehr deutlich zu zeigen, machen das in der Regel nicht“, sagt er. Luxus muss nicht teuer sein Wenn jemand nach dem Prinzip handle, Luxus sei das, was teuer ist, sei er in Bremen falsch. Der hanseatische Luxusbegriff sei ein anderer. „Hier war es schon immer so, dass man sich Zeit nimmt, mit geschätzten. Menschen umgibt und das macht, was man gern mag“, erklärt Schmidt. Die Keylens-Studie bestärkt Schmidts Theorie von den regionalen Unterschieden im Luxusverhalten. „Luxusmärkte spiegeln den Entwicklungsstand einer Gesellschaft wider“, sagt Jörg Meurer. Herrsche etwa in Russland noch ein archaisches „Bling-Bling“-Luxusbewusstsein vor, befänden sich die entsprechenden westeuropäischen Märkte längst in einem fortgeschritteneren Stadium und handelten nach der Devise: erleben statt besitzen. Während das traditionsreiche Angebot von Delikatessenhändler Schmidt also dem Zeitgeist zu entsprechen scheint, müssen andere Hersteller – etwa die von teurem Schmuck, Luxusautos und Prunk-Yachten – offenbar aufpassen, um nicht am Bedarf vorbeizuproduzieren. Oder schleunigst archaischere Märkte erschließen.
GAULT UND MILLAU 2010
Hörte man nicht eindeutig bremisch gefärbte Gesprächsfetzen, könnte man sich in Frankreich wähnen. Die rote Lederpolsterbank entlang der Wände, die dicht an dicht gestellten Tische mit den schlichten Papierdecken bewahren Bistro-Charme wie in Paris. Und die ständig besetzten Tische beweisen die Liebe der Bremer Gourmets zu »ihrem« Grashoff- sie ist seit Jahrzehnten ungebrochen. Die Feinkostabteilung, die man durchqueren muss, um ins Restaurant zu kommen, gehört zu den besten Geschäften dieser Art in Deutschland. Der Erfolg an Theken und Tischen ist schnell erklärt: beste Produkte, makellose Frische, perfekte Zubereitung. Küchenchef Christian Wichtrup lässt nie Langeweile aufkommen. Zu bekannten Klassikern (pochierter Schellfisch mit Senfbuttersauce, in Butter gebratener Steinbeißer mit Sauce armoricaine) und bodenständigen Sattmachern (Königsberger Klopse aus Kalbfleisch mit Kapernsauce, geschnetzelte Kalbsleber mit Äpfeln und Zwiebeln) gesellt er leichte Gerichte des modischen Mediterranen alla Rinderfilet Modena oder Gemüse-Couscous mit Nordseefischen. Wer nach tadellosem Salat vom Stremellachs mit weißer Buttersauce und ausgezeichnetem Bremer Kükenragout mit Flusskrebsschwänzen, Geflügelklößchen, Champignons, weißem Spargel und Krebsbuttersauce noch einen der Dessertklassiker schaffen will, muss Hunger wie ein Schauermann haben. Wir müssen uns mit erstklassigem Espresso begnügen. Der freundliche Service mit der sturmerprobten Patronne Barbara Schmidt kommt auch bei nervigen »Not famous but rich«-Gästen nicht ins Wanken.
Die Juweliere des Gaumens
Roter Faden, Teil XXII: Jürgen und Oliver Schmidt, Inhaber der Wein- und Delikatessenhandlung Grashoff
VON GÜNTER HÖRBST Bremen.
Hörte man nicht eindeutig bremisch gefärbte Gesprächsfetzen, könnte man sich in Frankreich wähnen. Die rote Lederpolsterbank entlang der Wände, die dicht an dicht gestellten Tische mit den schlichten Papierdecken bewahren Bistro-Charme wie in Paris. Und die ständig besetzten Tische beweisen die Liebe der Bremer Gourmets zu »ihrem« Grashoff- sie ist seit Jahrzehnten ungebrochen. Die Feinkostabteilung, die man durchqueren muss, um ins Restaurant zu kommen, gehört zu den besten Geschäften dieser Art in Deutschland. Der Erfolg an Theken und Tischen ist schnell erklärt: beste Produkte, makellose Frische, perfekte Zubereitung. Küchenchef Christian Wichtrup lässt nie Langeweile aufkommen. Zu bekannten Klassikern (pochierter Schellfisch mit Senfbuttersauce, in Butter gebratener Steinbeißer mit Sauce armoricaine) und bodenständigen Sattmachern (Königsberger Klopse aus Kalbfleisch mit Kapernsauce, geschnetzelte Kalbsleber mit Äpfeln und Zwiebeln) gesellt er leichte Gerichte des modischen Mediterranen alla Rinderfilet Modena oder Gemüse-Couscous mit Nordseefischen. Wer nach tadellosem Salat vom Stremellachs mit weißer Buttersauce und ausgezeichnetem Bremer Kükenragout mit Flusskrebsschwänzen, Geflügelklößchen, Champignons, weißem Spargel und Krebsbuttersauce noch einen der Dessertklassiker schaffen will, muss Hunger wie ein Schauermann haben. Wir müssen uns mit erstklassigem Espresso begnUgen. Der freundliche Service mit der sturmerprobten Patronne Barbara Schmidt kommt auch bei nervigen »Not famous but rich«-Gästen nicht ins Wanken. Vitrinen und den Kugellampen ist jedoch eine Welt voll harter, langer Arbeit. „Wir schaffen eher selten die 40-Stunden-Woche“, grinst Schmidt. ,,Man kann sich kaum vorstellen, welcher Aufwand hinter diesem Angebot hier steckt. Und dieses Niveau halten wir seit 50 Jahren.“ Schmidtsche Demokratur Unverzichtbar seien für diese Leistung jedoch gute Mitarbeiter, betont der Chef, der im Nassauer Hof in Wiesbaden und im Dorchester Hotel in London Koch gelernt hat. „Wir motivieren unsere Leute zu verantwortlichem Arbeiten und zur Eigeninitiative. Das geht am besten, indem man die Philosophie vorlebt.“ Das hat auch schon sein Vater Jürgen so gehalten. Der Erfolg gibt ihnen recht: Der Stamm der Belegschaft ist seit vielen Jahren unverändert. Sympathie hin, Eigenverantwortung her: Vater und Sohn Schmidt sorgen dafür, dass die Mitarbeiter einer festgelegten Grundlinie folgen. „Wir haben hier auch einen roten Faden“, sagt Oliver Schmidt mit einem Augenzwinkern. „Danach haben sich alle zu richten. Hier herrscht eine stabile Demokratur.“ Alles werde zwar diskutiert, Meinungen würden eingeholt, doch die Entscheidung fällt dann die Familie. Entscheiden musste sich Oliver Schmidt übrigens auch früh, ob er Feinkosthändler werden will. Ein komplexer Beruf übrigens: Man muss kochen können, Verkäufer sein, die Produktentwicklung beherrschen, etwas von Design und Betriebswirtschaft verstehen, Personal führen können sowie natürlich Kreativität besitzen – und zwar in hohem Maß. Diese Kreativität war es auch, die Schmidt eigentlich lieber Musiker werden lassen wollte. Am Ende entschied er sich aber fürs Kochen Die Leidenschaft für Musik lebt aber welter in dem Mann, der von sich sagt, zu oft zu gut zu essen. „Meine Frau und meine Mutter kochen viel zu gut“, sagt er und streicht sich genussvoll über seinen im Laufe der Jahre gewachsenen Bauch. Als großes Unglück betrachtet es dieser Juwelier des Gaumens aber, welches Verhältnis die meisten Deutschen zum Essen pflegen. „Geist und Körper sind die wichtigsten Dinge im Leben“, findet er. „Darum muss man sich aber auch kümmern. Ich finde, dass die große Mehrheit der Bürger darauf viel zu wenig achtet.“
GAULT UND MILLAU 2009
Wer behauptet, es gäbe in Bremen keinen besseren Ort als Grashoff, um tagsüber exzellent zu speisen, dürfte keinen Widerspruch hören. Das Bistro im Herzen der Stadt und in Nachbarschaft der schönen historischen Windmühle am Wall ist seit Jahrzehnten eine kulinarische Institution für Gourmets, die leider um 19 Uhr schließt. Ihren fast schon legendären Ruf verdankt die Küche ihrem soliden gastronomischen Handwerk, ihrem Beharren auf der Qualität bester und frischester Produkte und ihrer Offenheit für alles, was feinköstlich schmeckt. Sie legt sich auf keinen bestimmten Stil fest, sondern interpretiert stimmig französisch, italienisch oder bodenständig-rustikal. Und hütet selbstverständlich die Klassiker des Hauses wie den in Dampf gegarten Schellfisch mit Blattspinat und seiner göttlichen Butter/Senf/ Joghurt-Sauce oder die Stampfkartoffeln »Getrüffelte Sieglinde« mit pochiertem Ei. Wer sich mal nach etwas anderem als Bisque de hommard, Paillard vom Rinderfilet oder Lammrücken provenzalisch sehnt, bekommt (vermeintlich) einfache Gerichte wie Kohlrouladen, die selbstverständlich – muss das noch extra betont werden!- perfekt sind. Nur mit der Neuinterpretation von Saltimbocca waren wir nicht einverstanden: Kalbsschnitzel schnöde mit einer kalten Schinkenscheibe und einem rohen Salbeiblatt zu belegen – das ist nicht nach Art des Hauses. Die eindruckvolle Weinkarte listet vor allem große Bordeaux, aber auch bei den einfacheren Offenen kann man nichts falsch machen. Der freundliche Service, der einen exzellenten Weinservice bietet, gerät auch im größten Trubel nicht aus der Fassung und bringt zum Schluss einen exzeptionellen Espresso.


Treibstoff norddeutscher Leidenschaften
Tranig und träge rinnt das Blut in den Adern von Widukinds Nachfahren. Doch es fließt auch schneller – wenn’s endlich Grünkohl gibt, begleitet von Schnaps und Bier. Oder von rotem Bordeaux, wie es in Bremen der Brauch ist.
Sein Urteil hatte Gewicht, Justus Lipsius war Rechtsphilosoph, ein berühmter Mann. Die Mächtigen des 16. Jahrhunderts vertrauten ihm in Staatsf agen, an der Universität Jena lehrte er Beredsamkeit und Geschichte. Aber konnte man ihm auch kulinarisch trauen? Eines Tages zog der weise Mann durch Norddeutschland, als er in einem Gasthaus bei Oldenburg etwas Schreckliches erlebte: „Doch da kommt der lang ersehnte zweite Gang, die Hauptschüssel! Eine gewaltige Kumme voll braunem Kohl! Einen Finger breit darüber her fließt die Brühe von Schweinefett. Diesen Ambrosia essen sie nicht, sie verschlingeA ihn. Hungrig Aücht ich zu meinem Esskorbe, zieh ein paar Rosinen hervor und verzehre sie langsam mit Brod … lieber will ich den Wirth sammt den Gästen erzürnen, als meine Gesundheit verderben.“ Nun, er war ein Kind seiner Zeit. Fünf Jahrhunderte später gilt Grünkohl als extrem gesundes Gemüse – dazu erklärt von der WHO, der für Ernährung zuständigen Organisation der Vereinten Nationen. Es birst schier von Vitamin C, Magnesium und Calcium. Lipsius‘ Anekdote ist dennoch mehr als eine Randnotiz, sie ist die erste schriftliche Erwähnung eines Kohlessens überhaupt. Womit wir in die Gegenwart springen. „Wollen wir nicht mal Guten Appetit sagen?‘: schnarrt Klaus Niederländer, dabei hat das Kohlessen längst angefangen. Niederländer möchte aber, dass nicht nur beim ersten, sondern bei jedem frisch gefüllten Teller Mahlzeit gesagt und dabei mit einem Schnaps angestoßen wird. Schon recht, der Mann ist der Leibarzt des Gastgebers und darf deshalb sagen, was wie genossen wird. Und genossen wird, immerhin sind wir im Epizentrum des gepAegten Grünkohlessens: erstens in Norddeutschland, zweitens in Bremen und drittens im Delikatessladen Grashoff, unweit vom Dorn.
Hier führen Seniorchef Jürgen Schmidt und Junior Schmidt eines der letzten echten deutschen Feinkostgeschäfte, und im eingebauten Bistro lädt der Chef zur rechten Zeit gern ein paar Freunde zum Kohlessen. Unter ihnen auch NDR Fernsehkoch Rainer Sass, der sitzt aber noch nicht am Tisch, sondern schnüffelt sich durch die Auslagen des Geschäfts. Kostet von den Garnelen aus der chilenischen Tiefsee, probiert den hauseigenen Balsamessig, verkostet Schmidts Bordeaux. Dann lässt er sich wohlig seufzend bei Tisch nieder: „Für Köche ist das hier ein Sexshop.“ Da es hier aber nicht um Fernsehköche, sondern um grünen Kohl gehen soll und dieser hauptsächlich in ,Norddeutschland verehrt wird, hier eine Kurzeinführung für süddeutsche Leser: Der Grünkohl heißt botanisch Brassica oleracea acephala und wächst kraus an Strünken. Zur Erntezeit ragen sie bis zu einem Meter aus dem Boden, und weil die Kohlblätter wie Palmwedel vom Stamm abstehen, wird die PAanze liebevoll „Palme des Nordens“ genannt. Der Tradition zufolge darf der Kohl erst nach dem ersten Frost gegessen werden, weil sich nur durch die Kälte die bitter schmeckende Stärke in Zucker verwandelt. So war das früher. Heute sind die Bitterstoffe aus den meisten Grünkohlarten herausgezüchtet worden. Die Bremer und auch andere Nordlichter sagen zum Grünkohl gern auch Braunkohl, landläufig wird das mit der Verfärbung der Blätter des Grünkohls bei stundenlangem Kochen begründet. Vermutlich treffender aber ist diese Erklärung: Bis ins 19. Jahrhundert aßen die Bremer eine Variante des Gemüses, den sogenannten Langkohl. Der hatte bräunlich-violette Blätter und hieß dementsprechend Braunkohl.
Oliver Schmidt kennt diese Feinheiten, er wäre sonst nicht der Sohn des Mannes, der hier in der Gegend als Groß-Kulinariker gilt. Fragt man den jungen Schmidt also, was mal zwingend zum Grünkohl gehörte, dann sagt er zunächst: „Oh, das ist viel“, und rattert dann los: In Hannover und Braunschweig gibt man neben den üblichen Kartoffeln (gebraten oder nicht) die Brägenwurst dazu, deren Name kommt vom plattdeutschen Wort für Hirn. Und das war einst auch drin, neben Schweinemett, Zwiebeln, Salz und Pfeffer. Seit der BSE-Krise muss Hirn allerdings draußen bleiben – aus der Wurst. In Bremen kommt Grünkohl mit Pinkel daher. Das hört sich nach Urin an, und damit liegt man nicht ganz daneben: Die so bezeichnete Grützwurst steckte früher nämlich in einem Stück Rindermastdarm, dem Pinkeldarm, heutzutage allerdings dient meist Kunstdarm als Umhüllung. „Bis vor wenigen Jahren war das Ganze einfach zu fett, sagt Schmidt und meint damit jene Tradition, nach der man den Kohl mit Beigaben vom Bauchspeck garte und gleich auch noch die fettreichste Wurst dazugab, die man finden konnte. Damals, als die Menschen körperlich arbeiteten und im Winter froren, habe das ja Sinn gehabt, ,,aber heute hält das viele Leute vom Grünkohl ab“. Er selbst kocht den heute in einer leichten Speckbrühe und nur noch 20 Minuten („bloß nicht verkochen!“), dazu gibt es Bratkartoffeln („bitte kein Püree“), Pinkelwurst („aber magere“) und Kasseler. Drinnen, in der guten Grashoff-Stube, hört man schon die „Aaahs“ und „Ooohs“ der hungrigen Runde. Dann klingen die Weingläser, denn in Bremen, und das ist wirklich ungewöhnlich, wird gern ein schwerer Bordeaux zum Kohl getrunken – in Erinnerung an jene Zeiten, als über die Hansestadt noch große Teile des deutschen Bordeaux-Importes abgewickelt wurden. Der junge Schmidt indes gesteht: „Bier passt zum Kohl natürlich auch sehr gut. Vor allem Bremer Bier.“ WORÜBER UNTERHÄLT MAN SICH beim Grünkohlessen? Sehr gern über Kohlfahrten, denn die sind traditionsbewussten Norddeutschen so wichtig wie die grüne Pflanze selbst. Kohlfahrten finden von November bis Februar statt. (Nur nicht im Dezember, da ist ja schon Weihnachten und genug zu tun.) Man begibt sich nach draußen in vereiste Landschaften, nimmt jede Menge Freunde mit und vergisst auf keinen Fall den Handwagen, der mit Schnapsflaschen beschwert ist. Wann die Schnäpse getrunken werden, bestimmt jede Kohlgesellschaft selbst. Beispielsweise kann man das an jedem dritten Baum tun, aber auch bei jeder Bachbrücke oder einfach kontinuierlich.
In Friesland wird die Fahrt oft mit einem indigenen Sport verbunden: dem Boßeln – gesprochen mit ganz langem 0. Dabei müssen die Kohlfahrer eine Holzkugel, den Boßel, über Landstraßen schleudern, die Strecke führt dabei über mehrere Kilometer. Natürlich gibt es auch hier Schnäpse und hinreichend viele Anlässe, einen zu trinken. Zudem sorgen eherne Boßelregeln für manchmal absurde Anblicke: Grundsätzlich darf der Boßel nicht verloren gegeben werden, auch dann nicht, wenn er im Jauchegraben neben der Straße landet. Der Anblick eines bis auf die Unterhose entblätterten Sportskameraden, der bei Gefrierpunkt-Temperaturen in brauner Soße nach der Kugel stochert, gehört zu den Höhepunkten einer solchen Festivität – und ist natürlich willkommener Grund, mal was Hochprozentiges zu trinken. An diesem Punkt ist man jetzt auch bei Grashoff angelangt, Seniorchef Jürgen Schmidt hat einen klaren Trunk mit Namen „Nichts“ auf den Tisch gebracht, die Witze a la ,;von nichts kann man ja nicht betrunken werden“ lassen nicht lange auf sich warten – und nach Bordeaux und Schnaps kann man darüber auch lachen. Als aber Leibarzt Niederländer jede weitere Getränkerunde ebenfalls mit Guten Appetit einläuten will, regt sich Widerstand: „Klaus, der Kohl ist gegessen. Warte man bis nächstes Jahr. Zur selben Zeit.“
GAULT UND MILLAU 2006
Wer hinten sitzen will, muss sich von der Kellnerin erst eine Lücke in der Tischreihe freischieben lassen, denn meist herrscht drangvoll-fröhliche Enge in dem Treffpunkt der Bremer Gourmets, die nirgends sonst in der Stadt ein so treffliches Mittagessen bekommen. Blind können sie irgendwo auf die Speisenkarte tippen, immer wird sie ein bewährtes Gericht erfreuen, das an Frische und perfekter Zubereitung nur schwer zu übertreffen ist. Wir werden nicht müde, den pochierten Schellfisch mit Blattspinat zu loben, der mit seiner köstlichen Senfbuttersauce längst ein Grashaff-Klassiker ist. Auch der mit Rosmarin-Öl beträufelte Atlantik-Kabeljau im Kartoffelmantel mit Mangold/Kartoffel-Püree ist überaus delikat. Ob man Paillard vom Rinderfilet in Aceto-Balsamico-Sauce mit Parmesan wählt oder Flusskrebsschwänze in Safransauce mit Meerrettich auf grünem Spargel, man isst stets tadellos. Und kann dazu vorzügliche, meist französische Weine trinken. Wermutstropfen gefällig? Die dünnen Kalbsleberscheiben mit gedünsteten Apfeln und Zwiebeln wünschen wir uns das nächstes Mal wieder ohne Sehnen.
GAULT UND MILLAU 2006
Schmidt´s Wein- und Sandwich Bar
Auch wir haben dies Bistro als würdigen Ableger des Stammhauses Grashoff gelobt. Leider machte offenbar die Beliebtheit der schönen Location direkt am Markt blind für Sorgfalt. Die Schweinsroulade ist so trocken und zäh wie letztes Jahr das Kalb, der Salat nur noch eine Parodie auf einst gebotene Qualität. Nachspeisen und Sandwichs mögen noch angehen, aber besser ist es, sich auf den vorzüglichen Espresso und die guten Weine zu beschränken. Das tun nach unserem Eindruck mittlerweile viele Gäste – die noch kommen, weil sie sich gern von hübschen Studentinnen bedienen lassen, wird man schon mal von mehr als lässig gekleideten Passanten angemacht, denn hier im »Bremer Viertel« wohnt die alternative Szene, der das geschrotete Korn mehr gilt als die köstliche Hummersülze mit Nordseekrabben und warmem Weißbrot.
Schon bei den Vorspeisen tritt eine der Stärken Stefan Ladenbergers zutage: Er ist ein Saucenkünstler, der mutig und gekonnt die teegeräucherten Jacobsmuscheln mit subtiler Waldmeister-Beurre blanc krönt oder danach den perfekten weißen Heilbutt mit Algen und schwarzen Tagliatelle durch eine famose Tomaten/Estragon-Butter adelt. Schade, dass er manchmal so unbedacht ist und beispielsweise der zarten Etouffe-Taube mit deftigem Blutwurststrudel durch eine Kartoffel/Rhabarber-Tarte einen Tort antut. Schade auch die Nonchalance, die Teller nicht ordentlich anzuwärmen. Die Nachtische halten geschmacklich nicht ganz, was sie optisch versprechen, und der Espresso wird auch durch geschmäcklerische und unpraktische Tassen von Villeroy & Boch nicht besser. Die hinreichende Weinauswahl ist günstig kalkuliert, und wer ohne Auto kommt, dem kann der aufmerksame und freundliche Service auch noch eine umfangreiche Digestif-Auswahl bieten.
Rainer Sass: Dreh in Bremer „Bistro“
Im Topf brodelte es und mit flinken Fingern wurden vor laufender Kamera exklusive Zutaten zerteilt. Zur Wochenmitte war Showtime in „Grashoffs Bistro“. Fernsehkoch Rainer Sass und Grashaff-Juniorchef Oliver Schmidt setzten Bremer Kükenragout in Szene. Zwei Tage ließen Regisseur Florian Kruck und sein Team immer wieder die Klappe fallen, bis sie genügend Material für ein halbstündiges Special für Sass‘ neue Kochshow zusarnrnen hatten. Ausgestrahlt wird diese ab Februar in der ARD. Einen Bremen-Bezug gibt es dabei nicht nur aufgrund der Freundschaft des Profikochs zur Familie Schmidt. Die Sendereihe wird von Christian Berg produziert.
Feinkost als Kunst
PFEFFER & SALZ REPORT 1989
Bekanntlich weht der gediegene Geist der Hansestädte heutzutage hauptsächlich in den dortigen gehobenen Feinkostläden, die ihr 100jähriges Jubiläum schon hinter sich und zum Teil auch noch eine alte Registrierkasse haben. Jürgen D. Schmidt, Erbe eines solchen Traditions-Hortes, hat bewiesen, daß Kreativität und hanseatische Gediegenheit sich gut vertragen.
Rote Punkte -das bedeutet Masern, oder auf Ausstellungsbildern, daß sie verkauft sind, und an Briefkästen häufigere Leerungen. Doch in meinem Gedächtnis sind sie mit ganz anderem Sinn verankert: als Zeichen einer Kurskorrektur, die ein ohnehin schon sehr angesehenes Feinkosthaus in die exklusive Spitzenklasse gebracht hat. Es ist fast zwanzig Jahre her, daß die roten Punkte, winzig aber auffällig, an den Regalen von Grashoff in Bremen unter den verschiedensten Flaschen und Packungen prangten, alles bekannte Markenartikel. Als ich fragte, erfuhr ich, Markiertes solle auslaufen und nicht wiederbeschafft werden.
Statt dessen wolle sich das Haus auf weniger, aber hochklassige Spezialitäten konzentrieren. Während Jürgen D. Schmidt mir das erläuterte, tranken wir an seiner Bistro-Theke spanischen Rotwein aus Bastflaschen, ganz guten, billigen. Der ist inzwischen abgeschafft, und Grashoff weit über die Grenzen Bremens hinaus Synonym für Luxus-Gastronomie – was gottlob nicht etwa nur hohe Preise bedeutet, sondern auch große Qualität. In sehr weitem Umkreis gibt es nichts Vergleichbares, auch nicht im riesigen Hamburg.
Die Konsequenz, mit der Schmidt der 1872 gegründeten Firma in den ersten beiden Jahrzehnten ihres zweiten Jahrhunderts den Spitzenplatz verschafft hat, macht Grashoff zum logischen Kapitel in unserer Top-Feinkost-Serie nach dem Riesen Harrods »e&t« 8/89. Riese kann man ja auch der Qualität nach sein. An die Spitze kommt man freilich nicht nur mit Qualitätsstreben. Phantasie, Durchsetzungsvermögen und gute Mitarbeiter gehören dazu. Und natürlich eine solide Produkt-, Branchenund Marktkenntnis. Zu Schmidts Erfolg hat auch seine künstlerische Ader beigetragen. Er ist ein hervorragender Fotograf – schon vier vorzeigbare Bücher hat er illustriert, feuilletonistisch und naturalistisch zugleich.
Schmidt ist auch unerschöpflich in Ideen zu Innenarchitektur und Design. Ferner schadet es in seiner Branche auch nicht gerade, daß er ein sehr guter Koch ist, mit der Fähigkeit, andere zu inspirieren. Welches Feinkostgeschäft kann sich schon rühmen, vom anspruchsvollen „Art Directors Club“ für sein ProduktDesign gleich mehrere Auszeichnungen davongetragen zu haben, darunter eine Bronzemedaille (in jenem Jahr, 1987, gab es für mehr als 1100 Bewerber ganze 15 Medaillen). Zwar war am Design eine Agentur beteiligt – aber wenn Jürgen Schmidts Ideen nicht berücksichtigt würden, liefe nichts … Witzigerweise mochten die Experten besonders das Design von Marmeladengläsern, die ein Teil des Handels als zu modern ablehnte. Für diese Kundschaft mußte Schmidt zu den Mustern der Großmutterzeit zurückkehren. Mehr und mehr tritt auf Etiketten und Packungen die Bremer Malerin Karin Hollweg mit ihren lustigen und schwungvollen Aquarellen und Zeichnungen hervor – Grashaff hebt sich auch damit eindrucksvoll von der Konkurrenz ab.
Als Schmidt anfing, fand er geeigneten Boden vor. Schon gleich nach der Gründung hatte sich „B. Grashoff’s Delicatessen-Handlung“ einen guten Namen gemacht. „Das junge Unternehmen genießt bereits einen über das Weichbild der Stadt hinausreichenden Ruf“, vermeldete der Bremer „Courier“ am 9. Juni 1872. „Es spricht dafür u. a. die Tatsache, daß aus diesem Etablissement die feineren Gerichte für das Diner, welches in Bremerhaven zu Ehren der österreichischen NordpolExpedition veranstaltet worden ist, bezogen sind.“
Gründer Grashoff hatte keine Erben. Zur Jahrhundertwende übernahm Johann Georg Schmidt die Firma, nunmehr „B. Grashoff Nachf.“. Jürgen Schmidts Vater Helmut, Sohn Johann Georgs, verlegte den Sitz in die günstige Sögestraße. Kaum irgendwo in Bremen können an einem Geschäft so viele Leute vorbeikommen wie hier, und die appetitanregende Auslage wässerte wohl auch denjenigen den Mund, die bis dahin nichts damit im Sinn gehabt hatten. Bremens Reiche neigten freilich zu hanseatischer Sparsamkeit; die feinen Damen, die sich „ein halbes Achtel“ Wurst oder Schinken abwiegen ließen, leben in den Erinnerungen fort. Vielleicht ist das gar nicht veraltet, verachtet schon gar nicht. Jürgen Schmidt wollte eigentlich lieber Physiker oder Astronom werden. Aber dann richtete er Energie und Phantasie doch auf Grashoff. Zwei Neuerungen, die ihm zu verdanken sind, machten aus dem Haus erst das, was es heute ist. Eine ist „die Marmelade“. Er ist in der „Marmelade“ hört man oft am Telefon, wenn man den Chef im Geschäft anruft. Aber dann zappelt er nicht etwa im Konfitürenfaß; gemeint ist eine separate Produktionsstätte, ein Bau, der auch als Warenlager dient. Dort entstehen nach seinen Rezepten hervorragende Marmeladen und Gelees. Daß die so erfolgreich sein würden, hätte sich niemand träumen lassen, als „Junior“ die ersten Versuche machte. Er hatte zunächst Orangen beschafft und wollte sie an Kundinnen loswerden, die selbst Marmelade einkochen würden. Er bot sogar ein Rezept dafür an. Aber das war schon sehr in der Zeit des Wirtschaftswunders – von der Grashoff-Kundschaft wollte niemand Marmelade machen. Die unverkauften Orangen drohten zu verschrumpeln, so setzte er sich schließlich selbst hin, schälte, preßte, kochte, füllte in Gläser, klebte handgeschriebene Zettel dran, verschloß sie mit Einmachzellophan und stellte sie im Laden auf den Tresen – schon wegen seiner eigenen Mühe zu nicht eben billigem Preis. Einen Tag später war alles weg, die Produktion eines Mannes, der nie zuvor Marmelade gemacht hatte …
Als nächstes fabrizierte er eine Orangen-Grapefruit-Mischung – sie ging genausoschnell weg. Dann, im Frühjahr, „konnte ich die Erdbeerzeit kaum abwarten; ich stand jeden Tag am Herd und kochte Marmelade“. Das waren zunächst immer nur ein paar Kilo, aber der Erfolg wuchs, und 1965 fand er einen gewichtigen westdeutschen Kunden: den Feinkost-Großhändler Berge. Nun mußte er mehr produzieren und stellte eigens einen Koch dafür ab. Die Rezepte waren nach Hausfrauenart großzügig mit den Früchten, was einen amtlich unzulässig hohen Wasseranteil bewirkte. Die Behörden bedeuteten ihm, seine Marmelade entweder länger zu kochen (um das Wasser zu verdampfen), zum Schaden des Obstgeschmacks, oder mehr zu zukkern … Seither sind die Vorschriften in der EG auf diesem Gebiet qualitätsfreundlicher geworden, und Schmidt hat keine Schwierigkeiten mehr. Heute produziert Grashoff „in der Marmelade“ mit modernsten Einrichtungen und einer Besatzung von etwa zehn Mitarbeitern, je nach Saison, eine halbe Million Gläser im Jahr, mehr als dreißig Sorten. Man findet sie bundesweit in guten Feinkostgeschäften. Die Produktion bedeutet heute etwa ein Drittel vom Gesamtumsatz der Firma. In der Marmelade entsteht auch Jürgen Schmidts wahres kulinarisches Hobby: Spaghetti, eher die noch dünneren Spaghettini, seit langem sein Lieblingsgericht, trotz aller gastronomischen Frankophonie. Nicht nur ich behaupte, daß es nirgendwo bessere gibt. Er macht etwa einen Zentner Spaghetti und schmale Bandnudeln pro Woche. Seine Pasta ist aus Hartweizengrieß mit frischen Eiern, die in italienischem Teig keineswegs automatisch zu finden sind.
Schmidts zweite Neuerung für Grashoff sollte sich als noch größerer Volltreffer erweisen. Das war das Bistro. Die Idee brachte er aus seiner französischen Lehrzeit mit – seine Ausbildung erfuhr er nicht nur im Geschäft unter der Regie des Vaters, sondern auch in anderen renommierten Unternehmen der Branche: Heimerdinger in Hamburg (Geschäft existiert nicht mehr), Böhm in Stuttgart und schließlich in Paris im berühmten Fauchon. Das hat zwar kein Bistro, aber Paris hat genug, und Jürgen Schmidt sah nicht ein, warum die Formel nicht auch in Bremen Erfolg haben sollte. Er überredete seinen Vater, einen winzigen, hinteren Teil des Geschäftes in der Sögestraße zu Lasten der Verkaufsfläche abzuknapsen; in der Küche, die bisher für den Partyservice arbeitete und für das Geschäft Salate und Braten herstellte, mußte die Besatzung erweitert werden.
Als ich dieses Bistro vor zwanzig Jahren zum ersten Mal betrat, hatte es kaum ein Dutzend Sitzplätze, es war nett eingerichtet, ungeheuer überfüllt, das Essen schon sehr gut. Im Lauf der Jahre bekam es etwas mehr Platz, auf Kosten des Ladens, die Umstellung lohnte sich. Mittlerweile hat es einen Michelin-Stern und ist wichtiger Pfeiler des Gesamtunternehmens. Nach dem Umzug aus der Fußgängerzone der Sögestraße in großzügigere Räumlichkeiten am grünen „Wall“ (Contrescarpe 80), ist es noch erfolgreicher.
Was wäre ein Bistro ohne Wein. Grashoff führt auch als Weinhandlung eine hervorragende Auswahl, überwiegend aus Frankreich, und importiert nicht wenig selbst, darunter eigens für das Haus abgefüllte Marken. Nicht umsonst hat Schmidt sich für unsere Bücher „Cognac“ und „Champagner“ ausgiebig an Ort und Stelle umgesehen – seine Auswahl an guten alten Cognacs dürfte in der Bundesrepublik einmalig sein: 65 samt und sonders bemerkenswerte, darunter fast 20 Jahrgangscognacs (ältester: 1811), die sonst kaum noch zu haben sind. Auch dem Champagnerangebot merkt man den erfahrenen Liebhaber an. Das Schwergewicht der Weinkarte mit mehr als 230 Sorten liegt bei den roten Bordeaux (knapp 200 aus besten Lagen) – ein großer Teil überraschend preiswert, und viele Jahrgänge, die man anderswo kaum noch finden kann. Von den Massen-Markenartikeln der Branche hat sich Schmidt weitgehend verabschiedet, er macht Grashoff-Erzeugnisse zu Markenartikeln. Das heißt nicht, daß er nichts mehr von anderen führt – eine Auswahl von 70 bis 80 Käsesorten, etwa 65 Würsten, Terrinen und Pasteten (darunter selbstgemachte oder in Frankreich vom berühmten Rougie für ihn hergestellte), einem Dutzend oder mehr verschiedener Schinken ist, in der Tradition des guten Delikatessengeschäftes, durchweg das Beste, das man in der jeweiligen Sparte überhaupt bekommen kann. Die Auswahl selbstgefertigter Salate kann sich ebenfalls sehen lassen. Trotz der Exklusivität des Angebotes ist nicht alles vom Kaviar-Anspruchsniveau. Schmidt hat eine Reihe gutbürgerlicher Fertiggerichte entwickelt, darunter „Kohl und Pinkel“. Für den Versand legt man einen Zettel bei, in dem diese berühmte Bremer Spezialität humorvoll erklärt wird. Im Bistro ist ja gelungen, Gutbürgerliches zur Qualität Großer Küche zu bringen – man versuche dort das Eisbein mit Sauerkraut. Auch erstklassige italienische Saucen kann man von Grashoff beziehen. Die Brotabteilung ist für Bremer Feinschmecker ein Wallfahrtsort. Einer der dauerhaftesten Schlager des Hauses Grashoff ist „Nichts“. Das kann man sogar in einer buchartigen Geschenkpackung haben. Es ist ein sehr guter klarer Schnaps, seit seiner Erfindung vor zwei Jahrzehnten sehr verbessert – ein Produkt fähiger Witzbolde. Vielleicht ist das ganz Besondere am Haus Grashoff, daß es seine Lust an höchster Qualität mit so viel Humor betreibt.
Gertv. Paczensky